L. Schudoma: Lieber Sebastian, Du hast bei uns im Haus Dein FSJ absolviert. Daran ist eine Sache auf den ersten Blick besonders –
S. Otto: – genau, ich sitze im Rollstuhl.
L. Schudoma: Wie kam es dazu, dass Du Dein FSJ bei uns im KönzgenHaus gemacht hast?
S. Otto: Ich war auf der Suche nach einer FSJ-Stelle und habe dabei meinen Fokus auf soziale Einrichtungen gerichtet. Da kann man davon ausgehen, dass diese Einrichtungen anders mit Behinderungen umgehen. Wenn ein Betrieb sozial ausgerichtet ist und Wert legt auf eine soziale Außenwirkung, sind sie erst einmal offener und nicht direkt abgeschreckt – was aber leider auch manchmal vorkommt…
Als ich im KönzgenHaus angerufen habe, habe ich direkt mit dem Geschäftsführer, Norbert Jansen gesprochen und ihm die Situation geschildert. Er hat mich ohne Bedenken zu einem Gespräch eingeladen, war offen und entgegenkommend.
L. Schudoma: Ist das eher ungewöhnlich?
S. Otto: Leider ja. Oft verlaufen die Telefonate erst einmal ganz standardmäßig, aber wenn man auf den Rollstuhl zu sprechen kommt, sind sie schnell verunsichert, ob es überhaupt funktionieren kann. Sie meinen, dass die Einrichtungen räumlich nicht geeignet sind usw. Ich möchte das nicht als Vorwurf formulieren. Aber im KönzgenHaus gab es eben direkt den Unterschied, dass obwohl die Räumlichkeiten nicht 100%ig barrierefrei sind, erst einmal eine Offenheit herrschte. Sie haben sich einfach darauf eingelassen.
L. Schudoma: Zum Glück, das war für uns ein großer Gewinn! Wie waren denn die ersten Tage für Dich?
S. Otto: An meinem ersten Arbeitstag waren direkt beide Bezugspersonen, die ich durch das Vorstellungsgespräch kennengelernt hatte, nicht da. Da war ich natürlich aufgeregt. Aber alle anderen Kolleg*innen sind einfach direkt ganz offen auf mich zugekommen, ich wurde ganz freundlich willkommen geheißen. Natürlich spürt man auch Unsicherheiten im Erstkontakt. Aber ich habe alle ermutigt, Fragen zu stellen. Mir ist eh lieber, dass eine Frage mehr als zu wenig gestellt wird. Und es sind wirklich viele interessante und offene Gespräche entstanden.
L. Schudoma: Wir sind vor Deiner Zeit bei uns immer davon ausgegangen, ein ziemlich barrierefreies Haus zu sein. Du hast uns da echt eines Besseren belehrt…
S. Otto: Naja, wie soll man auch darauf kommen, wenn man es nicht direkt mitbekommt.
L. Schudoma: Du bist anfangs auch auf einige Barrieren gestoßen, oder?
S. Otto: Ich kam z.B. nicht so einfach mit meinem Rollstuhl hinter die Theke der Rezeption, auch die Schlüssel hängen für mich zu hoch, es stellte sich die Frage, wie sich An- und Abreisen der Gäste organisieren lassen und überhaupt: Wie komme ich ins Haus: Durch den Haupteingang kommt man nur über eine Treppe!
L. Schudoma: Wie wurde mit diesen Problemen umgegangen?
S. Otto: Wir haben gemeinsam nach pragmatischen Lösungen gesucht, Arbeitsschritte umorganisiert und angepasst. Auch mögliche Berührungsängste von Kolleg*innen, solche Dinge anzusprechen, haben wir offen thematisiert.
L. Schudoma: Es wird quasi erst dann bewusst, wie wenig barrierefrei vermeintlich barrierefreie Einrichtungen sind?
S. Otto: Richtig, aber es hat mich gefreut, dass es diese Entwicklung gab, Dinge ändern zu wollen. Bei meinem Abschied wurde mir gesagt, ich hätte viele Denkanstöße gegeben, das ist für mich ein wirklich schönes Ergebnis meines FSJs. Im Laufe der Zeit und als ich schließlich aufgehört habe, hat mein Rollstuhl überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Es sind einfach alle ganz normal kollegial mit mir umgegangen.
L. Schudoma: Du hast jetzt eine Ausbildungsstelle als Sozialversicherungsangestellter gefunden. Meinst Du, das FSJ und Deine Erfahrungen hier haben Dir bei der Bewerbung geholfen?
S. Otto: Erst einmal kommt es ganz allgemein gut an, wenn man einen Freiwilligendienst vorweisen kann. Das zeigt einfach, dass sich jemand sozial engagiert und seine Zeit nutzt, dass keine Lebenslauflücken entstehen. Aber bestimmt hat mir auch der sichere Umgang mit den Kolleg*innen hier geholfen. Ich habe strukturiertes Arbeiten gelernt, wie Arbeitsabläufe funktionieren… Am wichtigsten war aber sicherlich die Erfahrung für mich, wie hilfreich es ist, Probleme –auch im Zusammenhang mit dem Rollstuhl – direkt und offen anzusprechen. Das hilft mir sehr bei meiner neuen Stelle.
Für mich persönlich ist es selbstverständlich, Neues anzupacken und auszuprobieren. Aber ich glaube, bei vielen anderen Rollstuhlfahrer*innen ist die Überwindung noch groß. Ich möchte ihnen gerne Mut machen, dass sie hier im KönzgenHaus keine Sorgen haben müssen und dass ein FSJ mit Rollstuhl hier wirklich gut funktioniert.
L. Schudoma: Lieber Sebastian, ich danke Dir sehr für Deine Offenheit. Für Deine Ausbildung wünschen wir Dir alles Gute! Jetzt hast Du noch die Chance auf ein schönes Schlusswort J
S. Otto: Vielen Dank! Super, also: Ich würde mich total freuen, wenn jemand anderes, der im Rollstuhl sitzt, oder ein anderes Handicap hat, das hier liest und sich ermutigt fühlt. In den begleitenden Seminaren hatte ich häufig das Gefühl, der erste FSJler im Rollstuhl zu sein – ich wünsche mir, dass sich das verändert. Ich glaube, das KönzgenHaus ist ein guter Ort dafür!
(mlw)